_Was kommt beim Bauern an?_ Vor wenigen Monaten wurden die Preise für Milch und Milchprodukte
deutlich erhöht. Nach Umfragen sind die meisten Bundesbürger bereit, mehr zu zahlen, solange das Geld
den Bauern direkt zugutekommt. Doch was kommt bei den Landwirten tatsächlich an? Wer verdient an der
Milch, und wieso gehen Milchbauern noch immer für Proteste auf die Strasse? _Milchbauern-Proteste mit
Erfolg_
Ein Basismilchpreis von 0,40 Euro für 1 Liter Milch ist jahrelang das Ziel des Bundesverbandes Deutscher
Milchviehhalter (BDM) gewesen. Noch vor wenigen Monaten bekamen sie aber gerade einmal bis zu 0,27
Euro für den Liter Milch. Die Milchbauern haben 2007 den Milchmarkt, der zuvor ausschliesslich zwischen
Molkereien und Handel stattfand, daher ordentlich aufgemischt. Viele Landwirte kündigten die Verträge mit
ihren Molkereien, um anderswo bessere Konditionen auszuhandeln. Die 0,40 Euro pro Liter, die sie
brauchen, um kostendeckend produzieren zu können, bekommen sie nun seit einigen Wochen.
Im Sommer 2007 war deutschlandweit der Milchpreis auch für die Verbraucher plötzlich das Thema. Als die
Butter dann auf einmal fast das Doppelte kostete, ermittelte sogar das Bundeskartellamt.
Der Verdacht: Illegale Preisabsprachen beim Handel. Dem war aber
nicht so. Schuld war die Lage am Weltmarkt: geschmolzen der
Butterberg, ausgetrocknet der Milchsee - und das bei einer weltweit
steigenden Nachfrage.
_Berechtigte Zukunftsängste?_ Endlich keine Tiefstpreise mehr - eigentlich sind die Milchbauern
glücklich über das Erreichte. Doch die Sorge ist gross, dass die Preise wieder nach unten gehen. Es gibt
tatsächlich erste Anzeichen dafür: Butter ist seit dem 10. Dezember 2007 bei einigen
Discountern und Supermärkten erstmals wieder günstiger zu haben.
Darum machen die Landwirte mit ihren Protesten weiter und fordern eine nachhaltige Änderung des
Wirtschaftssystems rund um die Milch.
_"Faironikas" für faire Milchpreise_ Am 7. Dezember demonstrierten Landwirte des BDM beim
Kreisverbandstag des Westfälischen Landwirtschaftsverbandes in Ahaus. Als Gastredner war
Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer geladen. Der westfälische Milchbauer Johannes Harker und
viele seiner Kollegen fuhren mit mehreren lebensgrossen schwarz-rot-goldenen Kuh-Skulpturen, den
"Faironikas", nach Ahaus,
in der Hoffnung auf ein Gespräch mit dem Minister. Die "Faironika" ist das Symbol ihrer neuesten Aktion:
"Mit der Initiative ,Die faire
Milchâ#Ö wollen wir in erster Linie die Verbraucher ansprechen. Da ist es naheliegend, den
Verbraucherschutzminister Seehofer heute stellvertretend anzusprechen", so Johannes Harker. "Die ,Faire
Milchâ#Ö steht für eine faire Bezahlung unserer harten Arbeit." Seit dem Sommer sind die Milchbauern mit
ihren auffälligen Kühen von Berlin bis München unterwegs. Sie suchen nicht nur den Kontakt zur Politik,
sondern besonders zu den Verbrauchern und stehen, zuweilen mit Kind und Kegel, in den
Fussgängerzonen wie beispielsweise in Ahaus.
_Wer verdient an der Milch?_ Wo landen denn nun die 0,76 Euro, die derzeit durchschnittlich in
Deutschland für 1 Liter Milch gezahlt werden müssen? Wer verdient wie viel an der Milch? Laut Institut für
Ökonomie der Ernährungswirtschaft sieht die Verteilung folgendermassen aus:
1 Liter Milch (3,5 Prozent Fett) 76 Cent Staat (7 Prozent Mehrwertsteuer) 5,0 Cent Handel
8,0 Cent Verpackung 9,9 Cent Molkerei 14,1 Cent Milchbauer 39,0 Cent Macht sich der
Handel die Taschen voll? Nein, sagt das Institut, das zur Bundesforschungsanstalt für Ernährung und
Lebensmittel gehört. Egal ob bei den Niedrigpreisen zu Beginn des Jahres oder beim ersten Hoch im
Sommer, bis hin zu den aktuellen Preisen - die
Spanne des Handels lag nach Schätzungen des Instituts nahezu gleichbleibend bei 0,08 Euro bis 0,09
Euro pro Liter Milch. Das Geld kommt also bei den Milchbauern an.
_Weg mit Prämien, Subventionen und Milchquote?_ Wofür gehen die Landwirte dann noch auf die
Strasse? Sie wollen weg von den Subventionen und fordern von der Politik Rahmenbedingungen für einen
fairen Wettbewerb. "Es ist so weit gekommen, dass die Hälfte unseres Einkommens aus Subventionen
besteht. Das ist doch ein unhaltbarer Zustand", so Johannes Harker, "und das kommt den Verbraucher
doch auch viel teurer." Er bekam die Chance, darüber mit Minister Seehofer zu sprechen: "Ich denke, dass
wir doch einen
Tausch machen sollten, keine Prämie mehr, dafür faire Wettbewerbsbedingungen am Markt, sodass wir
vom Verkauf der Milch leben können. Ich denke, das ist vom Verbraucher auch gewünscht, dass wir von
den Subventionen wegkommen." Horst Seehofer reagierte auf dieses Tauschangebot: "Dazu brauchen wir
erstmal nachhaltig
stabile Preise. Wissen Sie, nach acht Wochen mit stabilen Preisen können wir nicht die Prämie aufheben.
Dann sind die Prämien weg und der Preis geht runter. Wir müssen jetzt schauen, dass wir über eine
längere Zeit stabile Preise bekommen von denen Sie leben können." _Abschaffung der Milchquote -
"Sanfte Landung"_
Und was tut sich in Sachen Milchquote? Die 1984 eingeführte Milchquote sollte einst die steigende
Milchproduktion der sinkenden Nachfrage anpassen. Jeder Bauer darf bis heute danach nur eine bestimmte
Menge Milch produzieren. Das System hat aber insgesamt nicht gut funktioniert. Statt das Angebot zu
begrenzen und stabile Preise zu erhalten, wuchsen Milchsee und Butterberg zunächst weiter. Erst dieses
Jahr waren sie erstmals aufgebraucht.
Dass die Milchquote im den Jahren 2014/15 auslaufen soll, ist beschlossene Sache. Die Frage ist, wie das
passieren soll. Von einem sanften Ausstieg, der schon 2008 eingeleitet werden könnte, ist die Rede im
sogenannten Health-Check der EU-Kommission. Eine
schrittweise Aufstockung der Milchquoten sei die beste Vorbereitung auf eine "sanfte Landung" zum
Zeitpunkt des Auslaufens. Eine Alternative: Das Herabsetzen der "Superabgabe", jener Strafe, die
Landwirte bezahlen müssen, wenn sie über ihre Quote hinaus Milch produzieren.
_Chance oder Gefahr?_ "Wird die Quote jetzt aufgeweicht, wird der Strukturwandel wieder angeheizt, und
was wir gerade gewonnen haben, geht wieder kaputt" -
so die Sorge der Skeptiker. Andere, die sich vergrössern wollen, wären froh darüber, denn für sie ist die
Quote ein Hemmnis.
Allgemein wird erwartet, dass das Auslaufen der Milchquotenregelung zu einem Anstieg der Produktion, zu
sinkenden Preisen und zu stärkerem Wettbewerb für den Milchsektor führen wird.
Gleichzeitig werden bestimmte Regionen, vor allem die Berggebiete, Probleme haben, eine Produktion zu
wettbewerbsfähigen Preisen aufrechtzuerhalten. Darum sieht die EU-Kommission vor, die
Bergregionen besonders zu stützten, das würde in NRW Regionen wie das bergische Land oder die Eifel
betreffen.
Dazu Horst Seehofer, in dessen Heimat Bayern der BDM ebenfalls sehr aktiv ist: "Ich bin der Meinung,
dass wir jetzt bei der Quote
überhaupt nichts ändern sollten. Erst wenn der Preis sich nachhaltig stabilisiert, wir über weitere
Massnahmen nachdenken, aber auf keinen Fall jetzt in den nächsten Monaten." So der Minister am 7.
Dezember 2007. Am 12. Dezember schlug die EU-Kommission in ihrem Bericht zur Situation am
Milchmarkt vor, die
Milchquote ab April 2008 um 2 Prozent anzuheben.
_Der Verbraucher zahlt gern_ Das politische Ringen geht weiter. Die Unsicherheit bei Bauern und
Verbrauchern bleibt, denn der Milchpreis reagiert sensibel auf Faktoren wie die Nachfrage, Milchquote und
Subventionen. Und was sagt der Verbraucher zu den höheren Preisen? Die Landwirte glauben die
Verbraucher auf ihrer Seite. Im Spätsommer als die Diskussion um die Milchpreise entbrannte, gab es
kaum Verbraucheranfragen bei der Verbraucherzentrale. Daraus schliesst Bernhard Burdick, von der
Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen: "Die Verbraucher haben kein
Problem damit, wenn sie sicher sein können, dass der Mehrpreis beim Bauern ankommt." "Das (Anm. d.
Red.: die Preiserhöhung) hätte eigentlich viel eher
kommen müssen, dann wäre auch der Schub nicht so gross gewesen, wie er jetzt gewesen ist.
Wesentlich ist, dass auch genug übrig bleibt beim Produzenten", so ein Passant in Ahaus im Gespräch
mit Johannes Harker. "Das ist ja auch schon allerhand", so Karl Josef Vermöhlen, Milchbauer vom
Niederrhein, "wenn die Bauern, die ja recht konservativ sind, sich aufmachen in die Fussgängerzonen, um
Kontakt mit dem Verbraucher zu knüpfen. Das zeigt eigentlich schon, dass auch Not dahinter steckt. Aber
wir haben auch schon etwas geerntet von unseren Aktionen: Wir bekommen jetzt deutlich mehr für
die Milch, aber wir sehen auch, dass wieder Bewegungen da sind, das wieder zu drücken. Darum geben
wir auch nicht nach. Wir wollen letzten Endes einen Pakt mit dem Verbraucher schliessen, dass er weiss,
in jedem Laden wo ,Fair-Milchâ#Ö ist, unterstütze ich meine
heimische Landwirtschaft." Milchpreise - wie Lebensmittelpreise
überhaupt - sind in anderen EU-Ländern deutlich höher als in
Deutschland. Die Deutschen geben durchschnittlich nur 12 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel
aus.
_Links:_
* http://www.milchviehhalter.de/
Homepage des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM)
* http://www.milch-nrw.de/
Homepage der Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW e.V. mit vielen Zahlen und Fakten rund um das
Thema Milch.
* http://www.bauernmolkerei.de/
Homepage der Upländer Bauernmolkerei u.a. mit Infos zur Erzeuger-Fair-Milch.
*
http://www.wdr.de/tv/service/essentrinken/inhalt/20060818/b_3.phtml
Beitrag des WDR zum Thema:
Existenznot: Milchbauern schlagen Alarm am 18. August 2006
(Servicezeit: Essen & Trinken vom 18. August 2006)