Zur Tapas-Kultur in Spanien gehört in erster Linie die Bereitschaft,
sich an eine Theke zu lehnen und bei einem kleinen Imbiss und einem Glas Sherry die Zeit aus dem Auge
zu verlieren.
Tapas haben in Spanien ihren festen Platz im täglichen Speiseplan, der von den Spaniern sehr ernst
genommen wird. Die kleinen Gerichte, von denen es Hunderte gibt, sind Ausdruck eines Lebensstils, der
Geselligkeit und Abwechslung liebt. Tapeo - Tapas essen gehen - ist
ein alltägliches Ritual, dem die Zeit vor Mittag- und Abendessen
gehört. Da man - insbesondere in den Sommermonaten - sehr spät zu
essen pflegt, bleiben Stunden fürs tapeo.
Zu Beginn der Mittagspause oder gleich nach Feierabend bildet es den zwanglosen Rahmen, sich zu
treffen, sich zu unterhalten, etwas zu trinken und nach Lust und Laune verschiedene Kleinigkeiten zu
probieren. Ob es sich nun dabei nur um ein paar Oliven oder um aufwendige Minigerichte handelt, Essen
ist nur ein Aspekt dieser lebensfrohen Sitte. Manche Tapas-Bars sind berühmt für ihre
umfangreiche Auswahl, andere stützen ihre Anziehungskraft auf nur eine einzige Spezialität wie zum
Beispiel champinones a la pluncha, auf der Eisenplatte gebratene Champignons, oder pinchos morunos,
Spiesschen mit mariniertem und gegrilltem Fleisch.
Nun hat Spanien mehr als ein gutes Dutzend regionaler Küchen mit starker, eigenständiger Prägung zu
bieten, die ausnahmslos von der Verfügbarkeit der frischen Produkte bestimmt wird. Im Nordwesten
Spaniens, in Galicien, wo die Wiesen grün sind, gibt es köstliche Kalbfleischgerichte, die im Süden, in
Andalusien, so gut wie unbekannt sind. In Asturien, wo das Klima Weinbau nicht zulässt, wird sidru,
Apfelwein, produziert. Asturien ist auch für die fabada, die rustikale Bohnensuppe, und den
Blauschimmelkäse queso cabrules berühmt. Das Baskenland gilt als gastronomische Hochburg Spaniens.
Fischsuppen sowie changurro, gerillte Krebse, und anguilas a la bilbaina, Babyaale in Knoblauchöl, prägen
die Fischküche des Nordens. Im Süden, vor allem in Andalusien, sind es Gambas, Kaisergranat und
chanquetes, die kleinen fritierten Fische, die in Sevilla besser sind als irgendwo anders in Spanien.
Die Generalprobe für den kulinarischen Verlauf des Tages beginnt gegen 13 Uhr. Die ersten Tapas mit
einem Fino, einem trockenen und leichten Sherry, gehen über die Theke und werden mit kleinen Gabeln
oder Zahnstochern zu dem Fino verspeist. Dies findet meistens in der Tapas- Bar an der Ecke statt, die
durchaus auch einen kleinen
Restaurantteil haben kann. Diese Mittagstapas sind ein erster Vorgeschmack auf das zwischen 13.30 und
15 Uhr servierte Mittagsmenü, la comida, das in der Regel aus drei Gängen -
Vorspeise, Hauptgang und Dessert - besteht. Die am späten Nachmittag
zwischen 17 und 18.30 Uhr plazierte merienda, eine Art Kaffeepause mit Gebäck oder Brötchen, gerät in
letzter Zeit etwas in Vergessenheit. Wen wundert das, denn bereits zwischen 20 und 21 Uhr hat man sich
mit Freunden verabredet, um der vormittäglichen Tapas-Probe einen frühabendlichen Tapas-Reigen folgen
zu lassen, der
meistens in einem tapeo, einem Tapas-Umzug von Bar zu Bar, endet und
möglicherweise dazu führt, auf das später avisierte Abendessen, la cena, das normalerweise um 22 Uhr
folgen würde, völlig zu verzichten. Für diesen Fall wird man dann jedoch nicht nur Tapas bestellen, sondern
raciones, das sind grössere Portionen von denselben Tapas, die üblicherweise als Appetitanreger und als
Vorwand, um einige Finos zu trinken, zu verstehen sind. Das muss jedoch nicht hinderlich sein für den
Fall, dass man zu später Stunde noch in eine Bodega einkehrt, um dann dort doch noch gegen Mitternacht
ein spätes Nachtmahl zu geniessen. In Spanien scheint es niemand besonders eilig zu haben, nach Hause
zu kommen. Dennoch sind am Morgen alle wieder in der Bar an der Ecke zum ersten Kaffee, und nicht
selten ist der tapeo des Vorabends Gesprächsstoff mit dem Nachbarn.
Übrigens: Das wichtigste Indiz für eine gute Tapas-Bar in Spanien
ist, wenn zur Mittagszeit ein Lieferwagen nach dem anderen vor der Bar parkt und Fahrer sowie Beifahrer
im Lokal verschwinden.