Obwohl Dinkel als Getreide nicht mehr allzu bekannt ist, begegnet uns der Name noch in vielen
Ortsbezeichnungen wie Dinkelrode oder Dinkelsbähl oder auch als Familiennamen wie Dinkelmann oder
Dinkelacker. Die wenigen »Insider« kennen Dinkel unter verschiedenen Bezeichnungen, z. B. Spelz, Korn
oder »die Kernen«, wovon sich der Name Grünkern ableitet. Die lateinische Bezeichnung lautet Triticum
spelta. Dinkelkörner sind Weizenkörnern sehr ähnlich, wobei das Dinkelkorn etwas größer und schlanker
ist als das Weizenkorn. Der Dinkel ist der nächste Verwandte des Weizens und läßt sich in der Küche
auch ähnlich verwenden. Allerdings besitzt er einige Eigenarten (mehr dazu im Kapitel Kochen mit Dinkel
und Grünkern.
Auch auf dem Feld ist der Dinkel dem Weizen sehr ähnlich. Wenn er nicht mit chemischen
Halmverkürzern behandelt wird, erreicht er eine Höhe von bis zu 1,50 m. Dinkelbestände sehen etwas
schütterer aus als Weizenfelder; und viele Sorten fallen schon von weitem durch ihre rotbraune Färbung
auf. Die Ähren der heutigen Sorten sind sehr schlank und - im Gegensatz zu den früheren - unbe-grannt, d.
h. sie
besitzen keine steifen, widerhaarigen Borsten, sogenannte Gran-nen.
Unreife Ähren stehen senkrecht, bei der Reife senken sie sich in eine nickende Stellung ab. Eine Ähre
besteht aus vielen kleinen Ährchen, die links und rechts der Ährenspindel angeordnet sind.
Jedes dieser Ährchen enthält in der Regel zwei Körner. Sie sind von Spelzen umschlossen, die so fest
zusammengewach-sen sind, daß das
Korn nicht ausfällt. Spelze und Korn sind jedoch nicht mitein-ander
verwachsen. Da die Ährenspindel sehr brüchig ist, zerfallen die Ähren leicht in die einzelnen Ährchen, die
man Vesen nennt. Um speisefertigen Dinkel zu erhalten, müssen die Körner in der Mühle durch einen
sogenannten Gerbgang von den Spelzen befreit werden. Bei der Lagerung hingegen bieten die Spelzen
einen willkommenen Schutz.
Auch zur Aussaat, die im September und Oktober stattfindet, läßt man die Körner in den Spelzen. Das
Getreide geht noch im Herbst auf, und die Pflanze beginnt mit der Bestok-kung, d. h. sie bildet erste
Seitentriebe. Im Frühjahr setzt dann das eigentli-che Wachstum ein.
Jede Getreidepflanze bildet mehrere Ähren aus, die Ende Juli erntereif sind.
Weizen und Dinkel im Vergleich Stiefkind der modernen Landwirtschaft Weil sich Weizen und Dinkel so
ähnlich sind, standen sie schon immer in Konkur-renz zueinander. Im
Laufe dieses Jahrhunderts hat der Weizen den Dinkel fast vollständig verdrängt. Diese Entwicklung wird
verständlich, sobald man sich mit den Anbaumethoden be-schäftigt, die durch die Eigenarten der beiden
Pflanzen bedingt sind. Dinkel besitzt gegenüber Weizen unbestreitbare Vorteile, er ist vor allem wider-
standsfähiger. Er
verträgt starken Frost und gedeiht sogar noch auf Gesteins-böden mit
seichter Ackerkrume. Aufgrund dieser Eigenschaften eignet er sich für den Anbau in Höhenlagen bis zu
1000 m. Weizen verlangt dagegen ein milderes Klima und besonders ergiebige Böden. Dinkel ist sowohl
gegen übermäßige Nässe als auch gegen Trockenheit unempfindlicher.
Sein kräftiges Wurzelwachstum er-möglicht eine bessere Ausnutzung
der vorhandenen Nährstoffe im Boden. Die fest verwachsenen Spelzen schützen die Körner vor
Krankheiten, Vogelfraß und dem Auswachsen.
Kräftige Blätter unterdrücken Unkraut. Für die moderne Massenproduktion von Lebensmitteln wogen und
wiegen heute noch die Nachteile des Dinkels allerdings schwerer; denn Dinkel ist weniger ertrag-reich als
Weizen. Mit konventionellen Anbaumethoden erzielt
man bei Dinkel Erträge von 22 - 25 dz/ha entspelzter Ware, bei
Weizen dagegen 70 dz/ha. Allein das ist ein verständlicher Grund dafür, daß nur dort Dinkel angebaut wird,
wo wirklich kein Weizen mehr wächst. Außerdem erfordert die Beschaffenheit der Dinkelähre bei der Ernte
und der Aufbereitung besondere Techniken. Früher schnitt man die Halme mit der Sichel und zog die
Ährenbündel noch auf dem Feld durch ein Reft, einen gro-ßen Kasten mit einem Kamm an
der Oberkante. Die Ähren blieben in diesem Kamm hängen und fielen dann in den Kasten. Diese Arbeit war
sehr anstrengend und zeitraubend. Die ersten Erntemaschinen, die um die Jahrhundertwende aufkamen, z.
B. Mähbinder, konnte man zur Dinkelernte nur schwer einsetzen, da die brüchi-gen Ährenspindeln bei
dieser Technik
zerfielen und auf diese Weise viel Getreide verlorenging. Sehr umständlich ist auch das Entspelzen, das
sogenannte Gerben der Vesen.
Der Spelzenanteil macht etwa 30 - 35 % des geernteten Dinkels aus.
Um die Körner von ihrer Hülle zu trennen, muß eine Mühle mit einem sogenannten Gerbgang ausgerü-stet
sein. Diese Spezialeinrichtung
besteht wie eine normale Mühle aus zwei runden Steinen, von denen der untere feststeht und sich der
obere dreht. Gerb-mühlen haben
besonders weiche Steine, die mit viel Fingerspitzengefühl so eingestellt werden müssen, daß der Anstand
eng genug ist, um die Spelzen aufzubre-chen, ohne die Körner zu beschädigen. In modernen
Anlagen werden die Vesen von rotierenden Hämmern durch ein Sieb gepreßt, das die Spelzen zurückhält.
Das Getreide wird danach durch eine Reinigungsanlage geschickt, um Spelzen, Unkrautsamen und Steine
auszusortieren. Der Gerbgang entfällt beim Weizen völlig, weil die Weizenkörner lockerer in den Spelzen
sitzen. Sie fallen bei den heutigen Erntemethoden schon im Mähdrescher heraus und müssen in der
Reinigungsanlage nur noch von Verunreinignngen befreit werden. Der im Vergleich erhebliche Mehraufwand
bei geringerem Ertrag führte dazu, daß der Dinkel in unserem Jahrhundert auch züchterisch immer mehr
vernach-lässigt wurde. Man züchtete statt dessen
widerstandsfähigere Weizenarten und weitete den Weizenanbau durch Kunstdüngung und
Pflanzenschutzmaßnahmen auch auf ungünstigere Standorte aus. Während des »Dritten Reichs« legte die
Regierung allen Dinkelbauern in Deutschland nahe, an Stelle von Dinkel den ertragreichen Weizen
anzubauen, um dadurch Versorgungsengpässen entgegenzuwirken. Die Dinkelernte ist heute einfacher
geworden. Man kann Dinkel wie Weizen mit dem Mähdrescher ernten. Dabei stört es nicht, daß die
Spindel zerfällt. Die Vesen werden im Mähdrescher gesammelt und auf Wagen verladen, die sie dann in die
Mühle bringen.
Der Gerbgang ist allerdings unentbehrlich geblieben, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.
Auch von seiten der Bäcker gibt es Einwände gegen Dinkel: Bei der mechanischen Teigverarbeitung hat
sich Dinkel als ungeeignet erwiesen. Der Dinkelteig ist außerordentiich zähund verklebt die Maschinen.
Aus diesem Grund ist auch die Nachfrage der Bäcker nach Dinkel stetig zurückgegangen.
Unter diesen Umständen muß ein Landwirt verständlicherweise gut überlegen, ob sich der Dinkelanbau für
ihn lohnt. Am leichtesten wird eine positive Entscheidung noch in den traditionellen Anbaugebieten fallen,
wo die Gerbeinrichtungen bereits vorhanden sind. Diese Ge-biete sind jedoch in Deutschland sehr klein; sie
beschränken sich auf das »Bauland« um Boxberg und Bad Mergentheim und die Schwäbische Alb.