Von der Wiese in den Topf Wenn der strapazierte Vergleich eines grossen Essens mit der
Entdeckungsreise in eine neue kulinarische Welt ausnahmsweise mal nicht hinkt, dann beim
neungängigen "Menu découverte" (79 Euro) von Jean-Marie Dumaine in seinem Restaurant "Vieux Sinzig":
Der fast
schon einheimische Franzose hat sich auf die Verwendung von Wildkräutern spezialisiert, die rund um die
Ahr wachsen. Sie stehen bei seinem klassisch französisch orientierten Kochstil nicht unbedingt im
Vordergrund, spielen aber bei jedem Gericht eine wichtige Rolle für die aromatische Balance.
Etwa serviert Dumaine zwar eine erstklassig gebratene und leicht karamellisierte Entenstopfleber, dazu
aber eine gefüllte Rhabarberstange mit indisch gewürztem Chutney vom Japanischen Knöterich, der
ähnlich wie Rhabarber schmeckt, und Sorbet vom Löwenzahn. Oder er kombiniert das zarte Kalbsbries zu
grünem Spargel mit einer samtigen, mit Waldlakritz aromatisierten Mousseline, die wie eine scheinbar
schwerelose Brücke alle Zutaten zu einem harmonischen Geschmack verbindet. Sogar vor zarten
Tannenspitzen macht der Normanne nicht halt. Die serviert er als Joghurt-Terrine im
Schokoladenkuchenmantel und kombiniert mit
Himbeeren als luftiges Espuma. Das sorgt zunächst für die beabsichtigte, geschmackliche
Ausnahmesituation auf der Zunge, die sich manchmal erst beim zweiten Nachschmecken erschliesst, aber
niemals vordergründig bleibt.
Bei der Taubnessel als Spinat zum perfekt gegarten norwegischen Kabeljau mit Walnusskruste ist das
allerdings nicht nötig, und auch nicht beim Ofengemüse mit Wintertrüffel und Pimpernelle-Vinaigrette. Das
sind in sich stimmige Gerichte, die
Dumaine zusammen mit seinem neuen Küchenchef Yoann Hü entwickelt hat. Hü war fünf Jahre lang
Sous-Chef beim Drei-Sterne-Koch Michel
Bras in der Auvergne, der auch für seine herausragende Gemüsezubereitung berühmt ist. Hier kann man
nun erleben, wie das in Hüs Version aussieht: In Alufolie gegarter Sellerie, Spargel und
Kohlrabi, alles in unterschiedlicher Schnittgrösse und Textur, mit den Trüffelscheiben und verschiedenen
Wildpflanzen im Einmachglas serviert und mit einer Vinaigrette verfeinert, die das Ganze durch den leicht
pikanten Geschmack der Pimpernelle nach jungen Walnüssen nussig unterstreicht. So haben Sie Gemüse
vermutlich noch nie gegessen.
Colette Dumaine sorgt für die herzliche Betreuung der Gäste. Die Rotweine stammen natürlich von der Ahr,
aber andere Regionen sind auch dabei. Das alles macht das "Vieux Sinzig" zu einem der interessantesten
und ungewöhnlichsten Restaurants in Deutschland -
von Köln aus nur einen Katzensprung entfernt.
_Buch_ Waldmeister und wilder Oregano wird mancher Hobbykoch schon verwendet haben. Aber
Japanischer Knöterich, Gänsedistel oder Wiesenbocksbart? Diese Pflanzen kennen wohl nur noch
ausgewiesene Botaniker und eben Jean-Marie Dumaine. Seit dreissig Jahren kocht
der gebürtige Normanne nun schon in Sinzig an der Ahr. Er hat sich auf Wildkräuter spezialisiert, die alle
entlang dem Fluss, auf den Wiesen oder in den Wäldern der Umgebung wachsen. Wie man mit den 100
häufigsten Wildpflanzen ganz neue Geschmacksnuancen in klassischen Gerichten erzielen kann, zeigt
Dumaine in seinem sehr originellen Kochbuch, bei dem man schon während des ersten Durchblätterns aus
dem Staunen nicht mehr herauskommt. Im Anhang sind alle verwendeten Pflanzen ausführlich
beschrieben. Bei der Beschaffung dieser wilden Zutaten heisst es für Hobbyköche ausnahmsweise
allerdings nicht "auf zum Markt" sondern "ab in die Natur".
Jean-Marie Dumaine
Kochen mit Wildpflanzen AT Verlag 2008 29,90 Euro _Restaurant_ Vieux Sinzig Kölner Str. 6 53489
Sinzig Tel. 0 26 42/4 27 57 Öffnungszeiten: Mi. bis So. 11.30-14 Uhr und ab 18 Uhr
Rezepte:
Baskischer Kuchen mit Mädesüss Spargelcappuccino mit Bärlauch und Scampi Waldmeistercreme mit
Reiskrokant Kleine Kräuterkunde (Info)
:Letzte Äend. am: 1.06.2008