Beat Wüthrich: Da staune ich jeweils in Restaurants: Ich sehe Leute,
die bestellen sich einen ganzen Teller voller Sprossensalate - und
sie tun so, als ob sie diese länglichen Gebilde auch noch mit Genuss essen. Jedenfalls stochern sie
lustvoll darin herum, versuchen, die gummiartigen Würmer mit der Gabel in den Mund zu schieben. Was
selten auf Anhieb gelingt. Zum Aufrollen wie Spaghetti sind die Sprossen zu kurz und zu hart - bleibt
eigentlich nur das Essen mit
Messer und Gabel. Ich habe schon oft versucht, die sogenannten Sojasprossen (die eigentlich
Mungbohnensprossen sind) mit freudigem Mut zu verspeisen. Das gelingt mir nie. Ich mag gesunde
Speisen, schliesslich habe ich einen Körper, der nicht nur mit Austern, Kaviar und Champagner verwöhnt
werden will. Doch diese Mungbohnensprossen - ich hasse sie! Da hilft auch keine Salatsauce,
da hilft auch kein Braten im Wok.
Ja, gesund sind sie, diese vorwiegend in gekeimtem Zustand gegessenen Hülsenfrüchte! Viel Kalium und
Phosphor sitzen darin, Kalzium, Eisen und Magnesium. Selbstverständlich kommen da noch viele
unsichtbare, aber schliesslich spürbar gute hinzu. Ich mag sie nicht aufzählen, die Vitamine und die
Enzyme.
Andere Sprossen sind mir lieber. Die rieche und esse ich auch gerne.
Zwiebelsprossen! Ganz jung über einen Blattsalat gestreut, beispielsweise. Senfsprossen,
Rettichsprossen, Luzerne (unter dem Namen Alfalfa bekannt); und dann die berühmte Gartenkresse, diese
Kleinstblättchen, die es in Kunststoffschalen überall zu kaufen gibt. Hierzu sei zweierlei gesagt: Es soll
Hobbyköche geben, die die
dünnen Stengel oberhalb der dunklen Samen mit der Schere abschneiden, weil sie vermeintlich
unästhetisch wirken. Das ist falsch - die Samen gehören mitgegessen. Das zweite, etwas heiklere
Kressethema betrifft das Waschen des keimenden Grüns. Schneidet der Koch das Grünzeug mit der
Schere weg, überbraust es mit kaltem Wasser und... dann. Dann? Tropfnass kann man damit nichts
anfangen (ausser püriert in einer Suppe vielleicht. Die in andern Fällen so praktische Salatschleuder hilft
auch nicht weiter, da mindestens die Hälfte der Kresse durch das Sieb weg geschleudert wird und irgendwo
in der Spüle oder auf dem Küchenboden landet. Mit Kresse gehe ich, sofern ich sie in diesen
Plastikverpackungen, die an Eierkartons erinnern, kaufe, rigoros um. Ich schneide das Grün, das weiter
unten ins Gelblich-Weissliche übergeht samt einigen dunklen Samen ab.
Gewässert oder gewaschen wird nichts. Ich verwende sie so, wie sie gerade ist. Was meinen Sie, wie oft
so was in guten Restaurantküchen vorkommt? Gartenkresse passt gut zu gekochten Eiern, in gemischte
Blattsalate (erst ganz am Schluss daruntermischen), zu Tomaten oder als essbare Dekoration und
ungekocht auf/in eine Kartoffelsuppe. Der beste Kressesalat: die Blättchen nur mit Zitronensaft beträufeln
und mit
einem kleinen Hauch Pfeffer bestreuen. Brunnenkresse, mein Lieblingssalat, gehört nicht zu den Sprossen.
Deshalb kommt sie hier, wie in den meisten Schweizer Gemüseabteilungen, leider nicht vor.